„Hat mir doch auch nicht geschadet!“

Warum wir unseren Blick auf Erziehung trotzdem verändern dürfen

Fangen wir mal mit dem Begriff Erziehung an. Dieser suggeriert, wir könnten an kleinen Menschen ziehen und sie nach unseren Vorstellungen formen.

Wir wissen aber, dass Kinder ihr Verhalten nicht nach dem ausrichten, was wir sagen, sondern wie wir handeln und wer wir sind.
Vielleicht kennt ihr diese Dynamik aus eurem Alltag selbst: Je mehr wir als Eltern oder Fachkräfte Druck ausüben oder versuchen Kinder durch Ansagen zu einem bestimmten Verhalten zu bringen, desto mehr widersetzen sie sich. Erziehung ist etwas von außen Kommendes, ein “soziales Handeln, welches bestimmte Lernprozesse bewusst und absichtlich herbeiführen und unterstützen will, um relativ dauerhafte Veränderungen des Verhaltens, die bestimmten Erziehungszielen entsprechen, zu erreichen”.
(Stangl, 2021, https://lexikon.stangl.eu/1410/erziehung).

Das Hauptproblem bei der Sache ist schnell erklärt:

Der Erziehungsbegriff betrachtet das heranwachsende Wesen als Objekt der erwachsenen Erwartungen und Vorstellungen nach dem Motto “Ich weiß schon, was für dich gut ist.”

Und hier dürfen wir noch ein bisschen weiterdenken: Wie fühlt sich das für dich an, wenn du so behandelt wirst? Was macht das mit deiner Aufnahmefähigkeit, Lernfähigkeit und Lernlust, mit deinem gefühlten Selbstwert?

Wenn wir Kinder begleiten, denken und handeln wir selbst als Erwachsene stark nach dem, was uns selbst als Kind geprägt hat. Wir als heutige Erwachsene kommen aus einer Welt der Kindeserziehung.
In dieser Welt wurden wir häufig belohnt, wenn wir uns nach den Normen der Gesellschaft verhalten haben, wenn wir artig waren, konform waren, nicht zu viel Raum eingenommen haben.

Wenn wir das nicht waren, wurden wir mitunter beschämt ("Ich habe es dir schon tausendmal gesagt, wie kannst du nur!"), uns wurde gedroht ("Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich ohne dich!"), wir wurden bestraft (mit Hausarrest, schlechten Noten oder Entzug von Zuneigung).
Die Erwachsenen begegneten uns mit Misstrauen und Kontrolle, mit emotionaler Distanz. In schwierigen emotionalen Momenten wurden wir nicht selten allein gelassen. Uns wurde häufig gesagt, dass wir zu laut, zu frech, zu ungezogen seien.

Das Paradigma der Kindererziehung fußte darauf, dass Erwachsene wussten, "was das Beste für unsere Kinder ist". Wir kommen also aus einer Richtig-Falsch-Welt mit starken Bewertungsrastern. Nicht nur die Eltern-Kind-Beziehung war davon geprägt, auch in unseren Bildungseinrichtungen und im späteren Arbeitskontext sind sie bis heute die Grundlage des pädagogischen bzw. professionellen Handelns und Grundlage unserer Beziehungen.

Alles wird bewertet, zertifiziert, kategorisiert. Wir sind es gewohnt, dass unser persönlicher Wert und unsere Wirksamkeit von außen definiert und als gut oder schlecht eingeordnet wird. Und so bewerten, zertifizieren und kategorisieren wir uns auch selbst.

Das Problem ist: Die Welt hat sich stark verändert.

Vor noch wenigen Jahrzehnten galten Sicherheit, Konsum und Status als wichtige Treiber und sie verliehen dem Leben Sinn. Und ja, vielleicht stimmt es auch, dass Erwachsene ganz gut erahnen konnten, was “Das Beste für die Kinder ist.”
Denn schließlich sind ihre Kinder als spätere Erwachsene in Arbeitskontexte und gesellschaftliche Kontexte geraten, in denen es vorrangig darum ging, Erwartungen im Außen zu erfüllen. Diese Erwartungen sind aber eben stark verbunden mit Sicherheiten, Konsum und Statuserwartungen im Außen. Diese Welt existiert aber eben so nicht mehr.

Und so kann der Erziehungsgedanke ad acta gelegt werden.

Wir dürfen unsere Heranwachsenden nicht mehr in einem top-down Mindset begleiten. Wir dürfen uns auf den Weg machen, von der Erziehung zur Beziehung. Was das bedeutet und wie das konkret aussieht, erfährst du in den nächsten Wochen in unserem Blog.

 

 
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Von der Erziehung zur Beziehung